Die Herrin
von Chris Pyak
Sie schneuzt ihre Nase. Dehnt ihre Arme. Linkes Schulterblatt. Rechtes Schulterblatt. Sie drückt ihre Fäuste an den Nacken, drückt den Rücken durch. Die Hände öffnen sich, schließen sich. Zwei Mal. Ihr Nacken knackt als sie den Kopf freidreht.
Sie ist eine große Frau, die Herrin. Keine Schönheit, aber massiv, hart und stark.
Jemand bekommt jetzt auf die Schnauze.
Jemand – dass sind wir.
Was haben wir getan?
Wir haben sie ignoriert. Die Herrin. Wir haben gelacht, laut durcheinander geredet, uns gegenseitig unterbrochen und mit den dümmsten Sprüchen beschimpft. Manchmal warf jemand einen besorgten Blick zur Seite – dorthin wo die Herrin stand. Manchmal flüsterte jemand: „Sie ist erzürnt. Haltet ein!“
Ein gehässiges Lachen, ein dümmliches Meme – das war unsere Reaktion.
Nicht mehr lange.
Die Herrin hat die Nase voll. Sie lässt sich nicht ignorieren. Wer es versucht, wird auf Linie gebracht. Auf die traditionelle Weise. Die Faust der Herrin in unserer Fresse wird unsere Aufmerksamkeit erzwingen.
Doch dann ist es zu spät.
Zu spät für „Aber, aber…“.
Zu spät für „Das geht doch nicht…“
Zu spät für „Ich konnte doch nicht wissen…“ (Doch konntest Du.)
Zu spät auch, für: „Es tut mir leid“.
Die Herrin hört nicht mehr zu. Wir hatten unsere Chance. Jetzt gibt’s die Quittung: „Immer mitten in die Fresse rein“, wie die Ärzte singen würden.
Und sie hört nicht mehr auf.
Solange bis wir mit zerbrochenen Knochen, zerfetzten Nieren, in unserem eigenen Blut liegen.
Vernichtet.
Die Herrin kennt kein Erbarmen.
Niemand kann sie dauerhaft ignorieren. Das toleriert sie nicht.
Das letzte Wort dass Du flüsterst, während Du Deine Zähne ausspuckst – kurz bevor die Lichter endgültig ausgehen – ist der Name der Herrin:
„Kausalität“.
Klimawandel ist egal, was Du denkst.
Demografischem Wandel ist egal, was Du denkst.
Pflegenotstand ist egal, was Du denkst.
Zukunftsverweigerung ist egal Du denkst.
Wenn Du das Ursache-Wirkung Prinzip ignorierst – dann gibt Dir die Kausalität auf die Fresse.
